EINLEITENDE WORTE
Immer weiter, immer höher. Tschakkahhh! Ich habe keine Angst! Ich kann alles erreichen was ich will.
Miauuuu? 🙀
Dass ein gesundes Maß an Angst und anderen sogenannten „negativen“ Emotionen hilfreich ist und uns in gewissen Situationen vor Dummheiten bewahren kann, kennen wir nicht nur aus dem Leben unserer Katzen sondern auch aus unserem eigenen.
Dass ein ungesundes Maß (also ein Zuviel) an Positivem Denken uns in Gefahrensituationen bringen, unsere Beziehung zu uns selbst und anderen negativ beeinflussen und uns möglicherweise sogar krank machen kann, ist uns allerdings nicht immer bewusst. Deshalb brauchen wir ein anderes Mindset, das immun ist gegen sogenannte toxische Positivität/“toxic positivity“ die gefährlich werden kann.
Darum ist auch dieser Beitrag von Barbara Szabo so wichtig! Barbara ist Gesundheitswissenschaftlerin und Betreiberin des Podcasts „healthy me, healthy us, healthy world“ auf dem sie Themen der Gesundheitsförderung mit jenen der Positiven Psychologie vereint.
Danke, liebe Barbara für diesen tollen Gastbeitrag der uns wieder auf den Boden zurück holt. Miau! 😸
Toxic Positivity :
Don´t worry, be happy! Stay positive! Good vibes only! Always look on the bright side of life.
Egal ob auf Plakaten, in Werbespots, auf Social Media, in Selbsthilfe-Podcasts oder auf diversen Websites von Coaches – kaum jemand entkommt in unserer heutigen Zeit derartigen (vermeintlich?) motivierenden und aufmunternden „positiven“ Sätzen. Auf Instagram gibt es mittlerweile rund 400.000 Beiträge mit dem Hashtag #positivdenken und fast 5 Millionen Beiträge mit dem Hashtag #thinkpositive.
Ja, für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit ist es enorm wichtig und wertvoll, den Fokus auf das „Positive“ im Leben zu legen, sich auf
- Stärken,
- Potenziale,
- Ressourcen und
- schöne Momente zu konzentrieren.
Ein derartiges „positives“ Mindset entspricht den Grundgedanken der Gesundheitsförderung, die immer wieder die folgenden Fragen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt:
* Wie kann ich meine Gesundheit und mein Wohlbefinden fördern?
* Wie ist (noch) mehr Gesundheit und Wohlbefinden möglich?
* Wie können Ressourcen gestärkt und Potenziale weiterentwickelt werden?
Obwohl eine „positive“ Lebenseinstellung dazu beiträgt, bewusst positive Gefühle zu erleben und grundsätzlich gesundheitsförderlich und wohlbefindenssteigernd ist, kann ein Übermaß an „Positivität“ auch ungesund werden.
Dies wird als „toxische Positivität“, zu Englisch „toxic positivity“ bezeichnet.
Eine derartige extreme Grundhaltung kann in uns den Gedanken erwecken, dass es nicht okay ist, auch einmal „negative“ Gedanken und „negative“ Gefühle zu haben. (Übrigens: Innerhalb der Achtsamkeitsbewegung ist man der Ansicht, dass es für unser Wohlbefinden gar nicht notwendig bzw. sinnvoll ist, Gedanken und Gefühle zu bewerten, ihnen die Etikette „positiv“ oder „negativ“ zu verleihen. Stattdessen sollte es darum gehen, jegliche Gedanken und Gefühle einfach sein zu lassen und zwar so, wie sie sind. Aber das ist eine andere Geschichte…)
Jedes Gefühl ist wichtig
Sehr oft werden wir bereits in unserer Kindheit damit konfrontiert, dass „negative“ Gefühle wie Schmerz, Trauer und Wut keinen Platz im Leben haben.
Ein kurzes Gedankenexperiment dazu:
Stell´ dir vor, du bist im Supermarkt und siehst, wie ein Kleinkind hinfällt. Es beginnt zu weinen und ruft nach seiner Mutter. Die Mutter läuft sofort hin. Was denkst du, sagt sie?
– Sehr viele Mütter sagen automatisch so etwas in der Art: „Hey, nichts passiert. Komm, steh´ wieder auf! Alles wieder gut.“ – Ich möchte derartiges Verhalten nicht verurteilen. Auch mir als Zweifachmama sind diese Sätze bereits über die Lippen gekommen.
Aber: Es erscheint sinnvoll, sich im Alltag so oft wie möglich darüber bewusst zu werden, was derartige Aussagen bewirken können.
In der Positiven Psychologie und in der Gesundheitsförderung geht es nämlich nicht um diese Art von „positivem“ Denken, Fühlen und Sprechen.
Es geht eben nicht darum, „negative“ Gedanken und Gefühle wegzudrücken, Belastungen aus dem Weg zu gehen oder Probleme zu ignorieren.
Sondern: Es geht darum, durch positive Erfahrungen und Emotionen sowie diverse Tools, mit „negativen“ Gedanken und Gefühlen im Alltag umzugehen.
In diesem Beitrag möchte ich fünf Gründe nennen, warum es nicht immer und in jeder Situation gesundheitsförderlich ist, nur „positiv“ zu denken.
Der Beitrag soll dazu anregen, Sätze wie „Don´t worry, be happy!“ in unseren sozialen Interaktionen mit anderen bewusster einzusetzen (oder eben nicht einzusetzen).
Basis der folgenden Ausführungen sind meine eigenen Gedanken, die ich beim Auseinandersetzen mit Literatur im Bereich der Positiven Psychologie, aber auch im Zuge der Reflexion meiner bisherigen Erfahrungen in der Gesundheitsförderungsarbeit entwickelt habe.
5 Gründe gegen Toxic Positivity
Grund #1: Leugnen und Verdrängen können ungesund sein
- Wenn du denkst, dass du immer „positiv“ denken und fühlen musst, dann führt dies oft dazu, dass du „negative“, vielleicht nicht so schöne Gedanken und Gefühle leugnest oder verdrängst.
An dieser Stelle möchte ich den amerikanischen Schriftsteller Mark Manson zitieren, der einst schrieb
„Leiden zu vermeiden ist ebenfalls eine Form des Leidens.“
Und das zeigen mittlerweile auch viele Studien: „Negative“ Gedanken und damit verbundene „negative“ Gefühle zu unterdrücken, erschöpft uns sowohl geistig als auch körperlich.
Unter anderem gibt es Belege dafür, dass das Unterdrücken von Gefühlen das Reizdarmsyndrom, aber auch z.B. Hautprobleme begünstigen kann.
Unser Wohlbefinden wird darüber hinaus auch dadurch negativ beeinflusst, dass wir uns schuldig fühlen, wenn wir in einzelnen Momenten eben nicht „positiv“ sind, nicht dankbar dafür sind, „wie gut es uns doch eigentlich geht.“
Und: Es ist wichtig, „negative“ Gedanken und Gefühle wie Ärger, Wut, Sorge und Angst im Leben zu haben, denn nur so können wir auch bewusst die „positiven“ Gedanken und Gefühle, wahrnehmen, sie genießen und sie wertschätzen.
Grund #2: Wir können an Krisen wachsen
- Du brauchst Belastungen, Herausforderungen, schwierige Lebenssituationen und eben auch die damit verbundenen „negativen“ Gedanken und Gefühle, um zu wachsen.
Kennst du diese Menschen? Diese Menschen, die schon so viel „Schlimmes“ in ihrem Leben erfahren haben, mit heftigen Schicksalsschlägen konfrontiert waren und jetzt so stark, erfolgreich und glücklich wirken?
Wir Menschen streben danach, unsere Stärken anzuwenden und unsere Potenziale zu entfalten.
Dadurch erleben wir uns als sinnstiftend und empfinden auch generell mehr Sinn im Leben.
Stärken und Potenziale einsetzen können wir am besten in herausfordernden, vielleicht auch schwierigen, teilweise belastenden Situationen.
Wir Menschen wachsen an Krisen. Dies zeigen mittlerweile zahlreiche Studienerkenntnisse aus dem Bereich der Resilienzforschung und aus dem Bereich des „Posttraumatischen Wachstums“ .
Grund #3: Ressourcenorientiertes Denken
- Ressourcenorientiertes Denken ist weitaus erstrebenswerter als rein positives Denken.
Auf und ab, auf und ab… Gemäß dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum von Aaron Antonovsky, dem Begründer der Salutogenese, bewegen wir uns im Laufe unseres Lebens stets zwischen den Polen „absolute Gesundheit“ und „absolute Krankheit“ bzw. „Tod“ hin und her.
Jede Bewegung in die ein oder andere Richtung hängt nicht ausschließlich von unseren Ressourcen und „positiven“ Gedanken ab, sondern vom Zusammenspiel der Belastungen, denen wir in unserem Leben begegnen, und unseren Ressourcen.
Wirklich gut fühlen wir uns, wenn wir in belastenden Situationen unsere Ressourcen erkennen und bewusst einsetzen, also wenn wir uns z.B. im Umgang mit einer großen Arbeitsmenge die Frage stellen:
Über welche Ressourcen verfüge ich, die mir dabei helfen können, mit dieser Arbeitsmenge umzugehen?
Das können soziale Ressourcen sein wie z.B. Arbeitskolleg*innen, das können individuelle Ressourcen sein wie z.B. bestimmte Stressbewältigungsstrategien, das können aber auch materielle Ressourcen sein wie z.B. arbeitserleichternde Gerätschaften.
Grund #4: ins Handeln kommen
- Es reicht nicht, nur „positiv“ zu denken. Du musst auch ins Handeln kommen.
Natürlich kann es uns bestärken, beispielsweise morgens oder abends „positive“ Affirmationen, also selbstbejahende und lebensbejahende Sätze, aufzusagen oder das, was wir uns wünschen, zu visualisieren, vielleicht sogar ein Vision Board zu erstellen, auf dem eine erfolgreiche Businessfrau zu sehen ist, die in ihrer Partnerschaft überglücklich ist. Aber: Das reicht nicht!
Es reicht nicht, wenn wir uns etwas nur „erträumen“, sondern es bedarf konkreter Schritte.
Auch innerhalb der Positiven Psychologie ist man sich einig darüber, dass es – um nachhaltig Gedanken- und Gefühlsmuster zu verändern, nicht ausreicht, nur „positiv“ zu denken.
Sondern: Es ist unerlässlich, neue Gewohnheiten, die unser Denken, Fühlen und Handeln miteinbeziehen, im Alltag zu etablieren.
Grund #5: Soziale Beziehungen
- Das Weitertragen von Sprüchen, die in Richtung toxische Positivität gehen, kann einen negativen Einfluss auf deine sozialen Beziehungen haben.
Stell´ dir vor, ein Freund ruft dich an und erzählt vom stressigen Arbeitstag an einem Arbeitsplatz, an dem er sich nicht wohlfühlt. Was sagst du dann?
Wenn dir jemand sein Herz ausschüttet, unabhängig davon, um welchen Lebensbereich es sich handelt, ist es oft für denjenigen oder diejenige nicht wirklich hilfreich, Aussagen wie „Stay positive!“ oder „Wird schon wieder! Durchbeißen!“ zu tätigen.
Dies kann bei unserem Gegenüber nämlich das Gefühl auslösen, sich für die eigene Trauer, Wut oder Angst rechtfertigen zu müssen.
Warum wir derartige Aussagen oft automatisch tätigen? Weil wir uns selbst schützen möchten und zwar vor negativen Gefühlen.
Wenn uns nämlich jemand erzählt, dass es ihm oder ihr nicht gut geht und wir versuchen, uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen, kann dies natürlich auch „negative“ Gefühle in uns selbst auslösen.
Aber: Wenn wir „negative“ Gefühle anderer immer bagatellisieren und sich dies in unserer Kommunikation widerspiegelt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen bei zukünftigen Problemen nicht mehr ans uns wenden.
Bedeutet im Endeffekt: Die Stärke und Intensität deiner Beziehungen wird dadurch beeinträchtigt.
Eines kommt noch hinzu: Wenn du selbst so tust, als wäre alles immer „Friede, Freude, Eierkuchen“, dann werden Personen in deinem Umfeld kaum bemerken, wenn es dir einmal nicht so gut geht und sie können in diesen Situationen nicht adäquat für dich da sein.
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass eine positive Lebenseinstellung erstrebenswert ist, wenn es um die nachhaltige Steigerung unseres Wohlbefindens und unserer ganzheitlichen Gesundheit geht.
Aber: Es ist auch notwendig, „negative“ Gedanken und Gefühle sowohl bei uns selbst als auch bei anderen zu akzeptieren und zuzulassen.
Nur so können wir wachsen, unsere Stärken ausbauen und unsere Potenziale entfalten.
Über Barbara Szabo:
Barbara Szabo ist seit mehr als 10 Jahren Gesundheitswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Gesundheitsförderung.
Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Fachhochschule Burgenland wirkte sie bereits an mehreren praxisorientierten Forschungsprojekten in der Gesundheitsförderung mit.
Derzeit ist sie Hochschullehrende an der Fachhochschule Burgenland und betreibt seit mehr als zwei Jahren den Gesundheitsförderungspodcast „Healthy me, healthy us, healthy world“. In diesem gibt sie wissenschaftlich fundierte, gleichzeitig aber auch praktische Tipps für mehr Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit im Leben. Dabei kombiniert sie Ansätze der Gesundheitsförderung mit jenen der Positiven Psychologie.
Dr.rer.soc.oec. Barbara Szabo, BA MA
www.barbaraszabo.at – Hier gelangt man auch zum Podcast, wobei dieser natürlich auch auf allen gängigen Plattformen wie Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts & Co. verfügbar ist.
Instagram: barbaraalexandraszabo
Facebook: Healthy me, healthy us, healthy world
LinkedIn: Barbara Szabo
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