EINLEITENDE WORTE
SCHULE.
Welche Gefühle löst dieses Wort in uns aus? Welche schönen und unschönen Erinnerungen sind damit verbunden? Was bedeutet Schule für uns?
Für mich ist das Thema Schule immer schon da gewesen. Als Lehrer*innenkind in der ländlichen Idylle einer Dorfschule aufgewachsen war mein erster Berufswunsch: Lehrerin. Lesen und Schreiben hab ich mir dann wohl irgendwie recht früh selbst beigebracht, Rechnen kann ich dagegen bis heute nur unter hoher kognitiver Anstrengung ;-)
In der 2. Klasse schrieb mir mal meine Volksschullehrerin unter einen Aufsatz: „Du solltest Schriftstellerin werden!“ … und dieser positive, stärkenorientierte Zugang hat mich schließlich hierher gebracht und mir den Mut gegeben, diesen Blog zu veröffentlichen.
Denn wenn ich eines ganz sicher weiß und aus tiefstem Herzen fühle, dann ist das das:
Jedes Kind hat so viele Stärken und der Welt so viel zu geben.
Schaffen wir also bitte gemeinsam ein Schulsystem das durch Wohlbefinden und Stärkenförderung unsere Kinder zum Aufblühen bringt!
Danke, liebe Andrea Gietzelt für diesen motivierenden Gastbeitrag (nicht nur) für alle Lehrer*innen da draußen!
Positive Psychologie in der Schule
Trau Dich und mach´ es nur ein kleines bisschen anders als bisher
Wagen wir einen kleinen Blick in die Klassenzimmer. Was wir zumeist sehen, ist ein uns allen nur zu gut bekanntes Bild:
auf der einen Seite eine Schülerschaar, sitzend und mit den Füßen scharrend und auf der anderen Seite die Lehrperson, die versucht den 45- oder 90-minütig getakteten Unterricht so gut wie möglich über die Bühne zu bringen.
Seitdem Wilhelm v. Humbold zu Zeiten des preußischen Staates die Bildung für alle eingeführt hatte, gibt es Schulfächer und Notengebung.
Ja, der Unterricht hat sich mittlerweile etwas verändert (auch wenn manche das Gegenteil behaupten), viele anregende Methoden haben Einzug in den Schulalltag gefunden und durch unzählige Initiativen versuchen die Verantwortlichen, Schule interessanter zu gestalten.
Doch, wie kann überhaupt bereichernd unterrichtet werden, wenn der Raum zu klein und die Gruppe zu bunt ist?
Wie können Lehrkräfte Sprachprobleme, Lernschwächen oder Begabtenförderung, Mobbing, Pubertät und Depressionen … (um nur einen kleinen Auszug zu nennen) gekonnt und spielerisch im Unterricht berücksichtigen?
Was kann helfen, dass in dieser kurzen Unterrichtszeit, jede/r der rund 28 Schüler*innen wirklich gesehen, gerecht benotet, der individuelle Wissensdurst gefördert, demokratisches Handeln gelebt, nachhaltige Verhaltensweisen trainiert und auch noch eine werteorientierte Persönlichkeit gestärkt werden? Denn das – auch wenn viele Bürger*innen das immer noch nicht wahrhaben wollen – ist mittlerweile über die Bildungspläne der Länder ein hochoffiziell vorgeschriebenes Lernziel.
Und Hand auf´s Herz, es tut schon weh, wenn der Unterricht mit Liebe geplant und enthusiastisch vorgetragen wurde, um dann im real life an einer desinteressierten Wand abzuprallen.
Damit das Unterrichtsziel doch noch erreicht wird, kann man es kurzerhand mit pädagogisch wertvollen Handlungen versuchen. Wenn das nicht hilft, greift der*die eine oder andere in schierer Verzweiflung dann doch zu pädagogisch nicht so wertvollen Mitteln (was alles wiederum in eine Abwärtsspirale driften lässt).
Oder liegt die Lösung am Ende doch in der eigenen Haltung?
Jeder Mensch konstruiert sein Wissen selbst
Aus der Lernpsychologie wissen wir, dass jeder Mensch sein Wissen selbst konstruiert.
Dieser Konstruktivismus hilft uns zu erkennen, dass Pädagog*innen nur einen möglichst guten Rahmen bauen können, um Voraussetzungen für das Lernen zu bieten.[1]
Offen sein, begreifen und umsetzen müssen die Schüler*innen in Eigenverantwortung selbst.
Das nimmt Druck von den Lehrerschultern und bringt mehr Gelassenheit ins Klassenzimmer. Gerald Hüther beschreibt diesen Haltungsgrundsatz sehr treffend:
„Der Mensch ist ein Subjekt der Begegnung und kein Objekt der Veränderung.“
Wohlbefinden in der Schule
Weniger Druck und bessere Beziehungen fördern Wohlbefinden und dies wiederum ist elementar wichtig im Unterricht! Das wissen wir aus eigener Erfahrung, oder kaufen Sie eine Jeans, weil der/die Verkäufer*in sie dazu zwingt? Wahrscheinlich nicht. Sie fühlen sich angezogen, dies zu tun.
Wie oft setzen wir uns selbst unter Druck und dabei sind Annäherungsziele und intrinsische Ziele der bessere und gesündere Weg – auch im Unterricht.
Wohlbefinden sollten wir spätestens seit den empirischen Erkenntnissen aus einer Positiv Psychologischen Studie von Barbara Fredrickson professionell einbinden. Denn in der „broaden and build-Theory“ finden wir es schwarz auf weiß:
Menschen, die sich wohlfühlen sind engagierter, kreativer, lösungsorientierter, belastbarer, gesünder und offener!
Trauen wir uns also und binden kleine Wohlbefindens-Inseln in Form von kurzen Übungen zu Konzentration, Humor, Entspannung, Anregung oder Teamgeist in den Unterricht ein und bringen damit messbar mehr Motivation, echte Begegnungen, weniger Fehlzeiten, weniger Krankmeldungen und bessere Noten in die Schulen.
Das PERMA-V-Modell für die Schule
Auch das ist 2005/2011 von keinem Geringerem als Martin Seligman selbst (dem wichtigsten Wegbereiter der Positiven Psychologie unserer Zeit) mithilfe des PERMA-Projekts an der Geelong Grammar School in Australien empirisch belegt.
Das PERMA-V-Modell für Flourishing (also das Modell für Aufblühen von Persönlichkeiten) beinhaltet einen klaren Leitfaden für stärkenden Unterricht und Schulleben:
- P = Positive Emotion: wie Humor, dem Raum für positive Begegnungen in der Gruppe und dem Training zu positiven Haltungsweisen
- E = Engagement: Möglichkeiten sich im eigenen Interessensrahmen für etwas zu engagieren
- R = Relationships: in einer stärkenden Gemeinschaft durch gemeinsame Rituale und Erlebnisse gute Beziehungen zu leben
- M = Meaning: einen subjektiven Sinn (kurzfristig oder langfristig) für die verschiedensten Aufgaben zu finden
- A = Accomplishment: die Möglichkeit regelmäßig kleine und große Ziele erreichen zu können und sich dieser bewusst zu werden
- V = Vitalität: Gesunderhaltung auch durch präventive Maßnahmen wie z. B. das Erlernen von Stressreduktionstechniken
Ein PERMA-Klima kann jedoch nur erreicht werden, wenn wir regelmäßig kleine und größere positive Interventionen in den Unterricht einfließen lassen.
Übungen, die nicht nur energetisieren oder beruhigen, sondern auch Reflexionsübungen zu den eigenen Charakterstärken und Kompetenzen, persönlichen Zielen, Bedürfnissen und den eigenen Werten.
Was uns vielleicht auf den ersten Blick wertvolle Unterrichtszeit kostet, schenkt uns am Ende motiviertere, gesündere und offenere Schüler*innen.
Ideen für den Unterricht
Achtsamkeitsübungen helfen direkt, unruhige Gruppen in Konzentration zu bringen und unterstützen störende oder aggressive Schüler*innen dabei, mit ihren Emotionen konstruktiv umzugehen.
Beispielsweise kann expressives Schreiben hier helfen. Statt Strafe wird ein leeres Blatt mit all´ den aufkommenden Gedanken beschrieben. Nach nur ein paar Minuten einfinden, kann sich die Person regelrecht den Stress von der Seele schreiben. Das Blatt wird am Ende von niemandem gelesen und gleich zerstört.
Oder sie trainieren gemeinsame Atemübungen und können somit unruhige Momente in der Klasse schnell wieder beruhigen. Kurze regelmäßige Übungseinheiten und beispielsweise das Wissen um die Produktion von Serotonin (unserem körpereigenen Stabilisierungshormon) fördern Ruhe, innere Stärke, Empathiefähigkeit und Konzentration.
Innere Haltung
Impulskontrolle trainieren oder Wiedergutmachung statt Strafe ist eine Haltung, mit der Kinder und Jugendliche wachsen können.
Die Lehrkraft ist dabei Mentor und um es mit Haim Omer[2] zu sagen:
„Bist Du nicht willig… so brauch ich Geduld“
also in wachsamer Sorge mit gewaltlosem Widerstand.
Charakterstärken
Während meiner langjährigen Weiterbildungen in den Bereichen der Positiven Psychologie und der Positiven Pädagogik hatte ich eine wunderbare Erkenntnis.
Unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und Religion haben wir Menschen grundlegendes gemeinsam: unsere menschlichen Charakterstärken (über die Stärken von Kindern kann auch hier am Blog nachgelesen werden).
In einer groß angelegten Forschungsarbeit (2001 bis 2004) untersuchten Martin Seligman und Christopher Peterson zusammen mit einer Gruppe von mehr als 50 Fachleuten aus dem Gebiet der Sozialwissenschaften, historisch und zeitgenössische, gesellschaftlich geachtete, philosophische, religiöse Texte Sagen etc. aus den verschiedenen Kulturen unserer Erde. Diese „Values in action“ -Forschergruppe erarbeitete dabei eine überschaubare Nomenklatur unserer menschlichen Tugenden.
Heraus kamen 24 Charakterstärken und 6 Tugenden (Weisheit & Wissen, Mut, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Mäßigung und Transzendenz) mithilfe derer wir Lehrpersonen zusätzlich auch den Abbau von Fremdenfeindlichkeiten und Ängsten fördern können.
Damit wachsen positive Verbindungen und zudem die Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Also liebe Lehrkraft, trau Dich und es wird gut werden.
- [1] Konstruktivismus • Lerntheorie und Beispiel · [mit Video] (studyflix.de)
- [2] Haim Omer, Neue Autorität
Übungspool und Hintergrundwissen:
- Neumeyer: Positive Psychologie für Kinder und Jugendliche, 60 Übungen für mehr Mut, Glück und Zufriedenheit, BELZ Verlag
- Haim Omer: Raus aus der Ohnmacht. Das Konzept der Neuen Autorität für die schulische Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-525-45913-3
- Michaela Brohm-Badry, Wolfgang Endres: Positive Psychologie in der Schule, BELZ Verlag ISBN 9 783407 257796
- Link zu Übungen für den Unterricht: www.jedeskind.org
Über Andrea Gietzelt:
Andrea Gietzelt ist Berufsschullehrerin, leitet den Fachbereich Bildung und Erziehung im Deutschsprachigen Dachverband für Positive Psychologie und ist Master Trainerin für Positive Psychologie.
Sie unterstützt positive Netzwerke, gestaltet Workshops, Coachings und Weiterbildungen zu den Themen Positive Pädagogik und Positive Psychologie.
Homepage: www.positive-education.eu
Facebook Gruppe „Positive Psychologie in Bildung und Erziehung“: https://www.facebook.com/groups/203631726721058
Tel.: +49 162 2368057
- Photo by Michal Matlon on Unsplash
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