EINLEITENDE WORTE
Stellen wir uns mal vor, es ist Frühling des Jahres 2021, Musikkonzerte sind aufgrund des Coronavirus alle abgesagt. Ach ja, das ist ja jetzt gar keine Imaginationsübung einer gemeinen Psychologin, sondern leider seit mehr als einem Jahr Realität.
Wie viele von uns freuen sich wieder auf ihr erstes (offline!) Konzert, das Gefühl von Resonanz und Gleichklang im Raum, nicht nur das Mitschwingen mit der Musik, sondern auch mit den anderen Zuhörer*innen?
Noch nie in meinem Leben habe ich Musik als so wertvoll betrachtet wie jetzt. Sie hilft mir beim Entspannen und bei der Emotionsregulation, sie hilft mir dabei, meine ganze Bandbreite an Gefühlen zu integrieren. Sie gibt mir beim Laufen den Takt vor oder lindert meine Angst in der Zahnarztpraxis. Und vor allem erinnert sie mich an viele schöne Konzertmomente mit Freund*innen. Danke für die Erinnerung daran, wie wichtig und wundervoll Musik für uns alle ist.
Danke dir, lieber Thomas!
Musik = Leben
Musik begleitet mich selbst nun schon ein Leben lang. Bereits mit 6 Jahren saß ich am Klavier und noch heute, rund 35 Jahre später, ist diese Liebe ungebrochen. Interessant ist: Erst vor kurzem habe ich eher zufällig ein Andante von Bach gehört. Und ich weiß gar nicht genau warum, aber ich war sofort in dieses Stück verliebt und wusste: Das ist mein neues Lieblingslied
Die heilende Wirkung der Musik.
Musik berührt uns im tiefsten Inneren: Sie kann Balsam für die Seele sein, sie rührt zu Tränen, sie produziert Glückshormone und weckt Erinnerungen. Gründe genug, das Geheimnis der Musik ein wenig zu ergründen.
Musik fasziniert Menschen! Seit jeher. Denn Musik ist ein bedeutendes Medium und spielt im Leben eines jeden Menschen eine wichtige Rolle – ob er will oder nicht.
Denn häufig wird unser gesamter Alltag von Klängen bestimmt, von Musik, Geräuschen, Lärm usw. Dabei sind die Reaktionen ganz unterschiedlich. Musik kann eine heilende Wirkung haben. Musik kann beruhigen, aber auch anregen, sie kann entspannen, aber auch anspannen.
Wer kennt es zum Beispiel nicht, sich beim Hören von Musik auch mal ganz heimlich eine Träne aus den Augen zu wischen? Oder auch die dramatische, mitunter furchteinflößende Musik im Kino, wenn es uns vor Spannung kaum noch auf den Sitzen hält? Es besteht nämlich ein klarer Zusammenhang zwischen Musik und Atmung, Herztätigkeit und Gehirnaktivität.
Wie wirkt Musik auf unser Gehirn?
Doch was passiert genau beim Hören von Musik? Es ist besonders die Musiktherapie, die sich sich mit der Wirkung von Musik auf den Menschen und zwischen den Menschen beschäftigt. Entsprechende Studien haben ergeben, dass Musik beispielsweise Ängste reduzieren kann.
Mithilfe bildgebender Verfahren kann aufgezeigt werden, was im Gehirn geschieht. Beim Hören von Musik treffen akustische Reize, Schwingungen, auf unser Ohr, die über Nervenbahnen an unser Gehirn weitergeleitet und dort analysiert werden. Hier wird dann plötzlich ein ganzes Netzwerk aktiviert. Es gibt nämlich nicht „das“ Musikzentrum im Gehirn.
Assoziationen und Emotionen werden geweckt, indem viele unterschiedliche Teile des Gehirns aktiviert werden, so zum Beispiel der motorische Cortex, visuelle Zentren, das limbische System (unser „Gefühlszentrum“) usw.
Musik wirkt also auf die gesamte Anatomie des Gehirns. Das ist auch der Grund, warum Musik derart starke Reaktionen erzeugen kann.
Jeder von uns weiß beispielsweise, dass bestimmte Musikstücke zeitlebens sehr stark mit bestimmten Ereignissen verknüpft sein können – so etwa mit der ersten großen Liebe.
Musik ist etwas archaisches, etwas kollektives, was Verbundenheit schafft. Das zeigen auch gemeinsame Erlebnisse, so beispielsweise das Singen im Chor sowie das Anstimmen von Fangesängen im Fußballstadion. Oder auch das Musizieren am Lagerfeuer. Auch Festlichkeiten wie Hochzeiten oder Geburtstage sind ohne Musik kaum vorstellbar.
Dabei gilt: früh übt sich ;-) Ungeborene können bereits in der 16. Schwangerschaftswoche musikalische Impulse wahrnehmen. Denn ebenfalls nachgewiesen ist die Tatsache, dass ein Kleinkind bereits in den ersten Lebensmonaten Elemente wie Tonhöhe, Tonfolgen, Klänge usw. unterscheiden und sogar nachahmen kann. Deshalb wird Musik auch in der Begleitung von Frühgeborenen verwendet.
Durch die Berieselung mit passender Musik wird zum Beispiel der Herzschlag sehr viel regelmäßiger, sehr wahrscheinlich deshalb, weil sich das Herz dem Rhythmus der Musik anpasst.
„Musiktherapie“ im Alltag
Mit der Erkenntnis um die Wirkweisen von Musik kann daher auch im Alltag auf vielfältige Art und Weise eine Unterstützung geschaffen werden. Und dabei ist es so naheliegend. Sind wir krank, gehen wir zum Arzt. Aber die heilende Kraft der Musik wird oft vergessen.
Dabei kann Musik uns helfen, wieder in ein Gleichgewicht zu kommen. Wie können wir sie nutzen?
Musik schafft Nähe. Tonius Timmermann beispielsweise bezeichnet „miteinander Singen und Musizieren als die wichtigste gemeinschaftsbildende Kraft einer Kultur“. Auch Beethoven wusste um das heilende Element der Musik und bezeichnete Musik als „Sprache von Seele zu Seele“.
Interessant ist gerade der Effekt vom gemeinsamen Singen. Denn beim gemeinsamen Singen passen die Sänger unbewusst ihre Herzfrequenzen aneinander an – ein ähnlicher Effekt wie beim Yoga. Singen ist also auch deshalb gesund, weil dabei ruhig und gleichmäßig geatmet wird.
Konsonanz oder Dissonanz?
Interessant ist außerdem, dass die heilende Wirkung von Musik unabhängig davon ist, ob jemand gerne Musik hört oder vielleicht sogar selbst Musik macht.
Ebenso interessant ist auch die Tatsache, dass es nicht immer „schöne“ Musik sein muss, die uns guttun kann. Dissonanzen können das auch!
Die Affinität für eine bestimmte Musikrichtung ist häufig biographisch geprägt. Musik ist also in jedem Gehirn dann doch immer ein wenig anders verankert. Das Hören „seiner/ihrer“ Musik ist daher zu unbedingt zu empfehlen. Es muss nicht immer das Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach oder das Hornkonzert von Mozart sein. Und es muss auch nicht immer Klassik sein.
Viel wichtiger ist es, dass es nicht „eine“ Musik ist, sondern „seine/ihre“ Musik. Schließlich soll es ein Hörgenuss und kein Hörzwang werden (dazu gehört natürlich auch, sich nicht dauerhaft von Musik berieseln zu lassen. Auch Musik selbst hat Pausen. Musik sollte daher zwischendurch auch immer mal wieder abgestellt werden).
LIEBLINGSMUSIK STEIGERT DAS WOHLBEFINDEN
Dass das Hören der bevorzugten Musikrichtung sinnvoll ist, konnte ebenfalls anhand zahlreicher Untersuchungen belegt werden.
Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover spricht hier vom Präferenzeffekt. Die persönlichen Lieblingstitel – ganz gleich ob Popmusik, Schlager oder Klassik – steigern das Wohlbefinden. Die Ausschüttung von Hormonen, körpereigenen Wohlfühlstoffen, wird dabei sehr stark angeregt.
So steigert Musik auch die Ausschüttung von Betaendorphinen. Diese wiederum sind schmerzkontrollierend. In der Folge empfinden wir beim Hören von Musik mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Schmerz. Zahnärzte beispielsweise nutzen diesen Effekt im Rahmen von Behandlungen.
Ebenso wird auch Dopamin, ein Motivations- und Glückshormon, ausgeschüttet, was sich wiederum positiv auf unser Stress- und Immunsystem auswirkt und erwiesenermaßen jung hält.
Zudem werden beim Hören von Musik auch die Blutgefäße erweitert, so dass die Zirkulation des Blutes angeregt wird.
Ergänzend sei hier gesagt: Auch neue Lieblingstitel dürfen natürlich immer wieder entdeckt werden.
Fazit
Es wird also deutlich, dass Musik einen großen Einfluss auf unsere Psyche haben kann. Das wurde wie dargestellt vielfach untersucht.
Und dennoch: Gänzlich begreifen werden wir die Faszination, die von Musik ausgeht, aber wohl letztlich nie. Der Dirigent Ivan Repusic bringt es mit folgenden Worten sehr schön auf den Punkt:
„Etwas, was man nicht beschreiben kann, was man nur fühlt – das ist Musik“.
Über Thomas Manke:
Thomas Manke arbeitet hauptberuflich in der Erwachsenen- und Familienbildung. Er ist Diplom-Pädagoge, Gestalttherapeut sowie hypnosystemischer Coach und nebenberuflich als Trainer und Berater tätig.
Über Themen rund um die Psyche aufklären, das Thema enttabuisieren und Stigmata abbauen steht im Mittelpunkt seiner Arbeit.
Link zum Instagram-Kanal von Thomas Manke: https://www.instagram.com/psycho_dingsbums
Literatur & Quellen:
Eckart Altenmüller, Stefan N. Willich (Hg.): Klang, Körper und Gesundheit. Warum Musik für die Gesellschaft wichtig ist. 2014.
Hans H. Decker-Voigt, Dorothea Oberegelsbacher, Tonius Timmermann: Lehrbuch Musiktherapie. 2020.
Stefan Kölsch: Good Vibrations. Die heilende Kraft der Musik. 2019.
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[…] Gastbeitrag von Thomas Manke, am 19. April erschienen in Musik als Therapie : Die heilende Wirkung der Musik (feeling-better.blog) […]
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Habe diesen Artikel mit meinem Blogbeitrag verlinkt: Musiktherapie: Die Selbstheilungskräfte im Körper aktivieren.
LG
Maria
Liebe Maria, sehr herzlichen Dank! Da freuen wir uns :-) LG Andrea
Lieber Herr Manke,
ein sehr berührender Artikel und absolut ins Schwarze getroffen. Hört man Musik seines Lieblingssängers oder der Sängerin fühlt man sich danach direkt besser. Musik in Kombination mit Hirn/Herz wird oft noch unterschätzt – schade! Daher besten Dank für’s Erinnern und der Animation zum Trällern :)