EINLEITENDE WORTE
Wenn man sich auf Instagram in einer gewissen Blase bewegt, erreichen einen täglich gut gemeinte Ratschläge zu mehr Selbstfürsorge… ein gutes Buch, ein Schaumbad, Yoga. Eine, die das kennt, ist Karina Strasser-Neuhofer: Psychologin, Kunsttherapeutin und ja, auch Yoga-Lehrerin. Karina arbeitet kunsttherapeutisch sowohl mit Einzelpersonen als auch Gruppen zu diesem Thema und findet, dass sich jede*r eine eigene individuelle Selbstfürsorge-Hausapotheke zusammenstellen sollte. Kümmern wir uns also um uns selbst… und zwar so, wie es uns selbst gut tut und nicht stur nach irgendwelchen Instagramtauglichen Self Care-Tipps.
Danke liebe Karina!
WORRY ABOUT YOURSELF!
Jetzt im Ernst: Kümmere dich um dich selbst!
Irgendwie musste ich hier den englischen Ausdruck wählen. Weil‘s auf Deutsch meiner Meinung nach gar keine Redewendung gibt, die im gleichen Ausmaß Nachdruck erzeugt. „Schau auf dich“ oder „Kümmere dich um dich“ sind lieb gemeinte Ratschläge. Wohlwollend, ja vielleicht noch sorgenvoll. „Sorge dich um dich selbst“ klingt ja mehr negativ als motivierend. Aber die Ernsthaftigkeit und Nachdrücklichkeit, die dieses Thema verlangt, kann keiner dieser Sätze gut einfangen.
SELBSTFÜRSORGE
Vielleicht kennst du das Video der kleinen Zwei- oder Dreijährigen, die kläglich versucht den Gurt ihres Autositzes zuzumachen und sich partout nicht helfen lässt von ihrem Vater. (Meistens) höflich und trotzdem sehr bestimmt sagt sie ihm andauernd „Worry about yourself“.
Der Vater fragt sie immer wieder, ob er ihr helfen dürfe und wie er ihr helfen könne und jedes Mal wieder, lässt sie ihn wissen, dass er ihr am besten helfe, wenn er sich um sich selbst kümmere. Sehr witzig anzuschauen, verdeutlicht es nicht nur den Alltag mit Kindern, die gerade mitten in der Autonomieentwicklung sind. Ich denke es hat auch eine Message an uns versteckt. Jetzt mal nicht so wohlwollend und sorgenvoll, sondern ganz bestimmt und ernsthaft: Wir müssen uns um uns selber kümmern/sorgen/schauen.
Also: Let’s worry about ourselves!
Selbstfürsorge ist eh grad in aller Munde. Und als Leser*in dieses Blogs für Positive Psychologie würde ich dich wohl langweilen, wenn ich dir jetzt erzähle, dass Selbstfürsorge nichts zu tun hat mit Egoismus, weil man sich dabei ja nicht selbst erhöht, sondern nur ernst nimmt. Genauso wie wir unsere Mitmenschen ernst nehmen (sollen). Was aber auch für informierte Leser*innen vielleicht wiederholt werden darf ist, dass Selbstfürsorge – also das sich-selbst-um-sich-selbst-kümmern – nicht getan ist mit einer Liste an Gesundheitsaktivitäten, ein paar Massageeinheiten oder einer Tasse Tee. Wie gesagt es ist in aller Munde und auf allen Sozialen Netzwerken und das ist gut so. Ich stelle aber mal in Frage, ob uns das tatsächlich unserem Selbst näher bringt, wenn wir die guten Tipps, die andere Leute für sich selbst als hilfreich empfunden haben und auf Instagram teilen auf uns ummünzen und nachzuahmen versuchen. Yoga hilft! Bin ich auch der Meinung. Reden hilft! Yep, würde ich auch unterschreiben. Und findet sich sicher bald mal ein Blogeintrag dazu von mir auf meiner Homepage. Nur, hab ich da einen Einwand, wenn wir so tun, als wäre das für ALLE so.
SELBSTFÜRSORGE : AUTHENTISCH UND INDIVIDUELL
DU musst wissen was für DICH gut ist.
Es klingt so abgedroschen, aber es stimmt leider: das kann dir niemand anders sagen!
Vielleicht sind deine Gelenke voll empfindlich und du bist ohnehin schon hypermobil, und dann ist Yoga für dich vielleicht überhaupt kein guter Weg, um „zu dir selbst“ zu kommen. Du würdest dich besser um dich sorgen, deinen Körper auf andere Art und Weise zu bewegen.
Die Neugier auf uns selbst
Aber ich will es hier nun noch mal anders formulieren. Denn genau das ist ja oft das Schwierige: nämlich zu WISSEN was einem gut tut.
Ich denke, wir sollten eine Neugier auf uns selbst entwickeln. Wir sollten lernen uns für uns selbst zu interessieren. Ganz echt und in der vollen Tiefe und in dieser einzigartigen Besonderheit die wir sind, die niemand sonst ist. Wir können ruhig alle möglichen Self-Care Tipps ausprobieren, die uns so vorgeschlagen werden, aber immer nur mit dem Ziel herauszufinden, ob uns das tatsächlich hilft, uns selber zu spüren.
Selbstfürsorge in der Wanne
Badewanne zum Entspannen. Yoga für Stressabbau. Gespräche mit Freund*innen zur Entlastung. Alle diese Tipps sind super wertvoll und hilfreich. Aber jeder dieser Tipps ist wertlos – wenn er für dich nicht der richtige ist. Bei mir ist das zum Beispiel so eine Sache mit der Badewanne. Wenn ich mir wirklich was gutes Tun will, nehm ich mir Zeit für ein Vollbad. Ich bereite mir ein Buch vor, vielleicht noch eine Kerze, und voll Vorfreude setz ich mich rein Spätestens nach 10 Minuten wird es mir aber zu heiß, eine Minute später vielleicht sogar schwindlig und noch eine Minute später bin ich wieder draußen. Das bereitgelegte Buch hab ich da drin eigentlich noch nie angerührt. Recht entspannt fühl ich mich nach dieser Action leider nicht, versuchen tue ich es aber trotzdem immer wieder. Bei all diesen vergeblichen Entspannungs-Versuchen hab ich aber was anderes über mich gelernt. Ich mag leise, gleichbleibende, berieselnde Geräusche ziemlich gern. Das langsam einlaufende Wasser, das Geräusch des Föns beim Haare trocknen, leise Sprechgeräusche im Nebenraum, Regen auf dem Dach. Und diese Geräusche beruhigen mich ziemlich. Anstatt mich selbst weird zu finden für diese Eigenheit, nutze ich die Self-Care Methode „Badewanne“ nun genau so wie sie für mich gut ist: ich setz mich nur rein, solange das Wasser in die Wanne läuft, baue das Haare trocknen ewig lange aus, und entspanne mich in die Geräusche hinein – nicht ins Wasser.
UNSERE SELBSTFÜRSORGE-HAUSAPOTHEKE
Genau dieses feine Gespür für den Unterschied zu entwicklen ist notwendig, wenn wir unsere eigene Selbstfürsorge-Hausapotheke zusammenstellen. Und das meinte ich vorhin auch mit der Neugier auf uns selbst. Wir können uns ruhig Anregungen von anderen holen, dann geht es aber darum für uns selbst zu adaptieren. Damit wir mit diesen Selbstfürsorge-Handlungen tatsächlich für uns Selbst sorgen können.
Wichtig ist mir noch zu sagen, dass es dabei nicht drum geht, dass wir es möglichst gemütlich und angenehm haben. Es geht nicht um wohliges Einkuscheln in unseren Wohlstand. Es geht um radikales Wohlfühlen, damit wir gesund bleiben. Es geht darum, dass wir jetzt erarbeiten, wie wir mit uns selbst umgehen müssen. Damit wir erstens Resilienz aufbauen und zweitens gewappnet sind für Krisen. Da kann dieses Thema ruhig noch ein bisschen Nachdruck vertragen. Weil alles was wir haben und was wir sind, können wir nur genießen solange wir uns ausreichend wohl fühlen in unserem Körper und in unserem Leben. Wenn‘s eng wird in unserer Brust und wir ausgebrannt sind, wenn wir über unsere Möglichkeiten hinaus gegeben haben, bringt kein Erfolg, kein glücklicher Ehepartner, keine neue Yogamatte mehr was.
Nehmen wir unsere psychische Gesundheit nicht für gegeben.
Let‘s worry about ourselves!
Über Karina Strasser-Neuhofer:
Karina Strasser-Neuhofer begleitet Menschen in Einzelsitzungen, Frauenkreisen, Gruppenselbsterfahrungen, Teamsettings und Retreats. Sie ist Psychologin, Kunsttherapeutin und Yogalehrerin und hat das gute Leben im Blick – auch wenn Widrigkeiten und Krisen grad die Sicht versperren.
Ihre Angebote findet ihr auf ihrer Homepage: https://www.strasserneuhofer.com/
Quellen und Lesetipps:
- Michael Lehofer (2017): Mit mir sein. Braumüller Verlag.
- Lydia Hantke & Hans-Joachim Görges (2019): Ausgangspunkt Selbstfürsorge. Junfermann Verlag.
Photo by Matthew Henry on Unsplash
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So ein wichtiges Thema, vielen Dank für den Input!
Gerne! Ich gebe das Feedback gerne an die Autorin weiter :-) LG Andrea