EINLEITENDE WORTE
In der Yogastunde an einer Rosine lauschen!? Wo gibt’s denn sowas? In den Yogastunden von Stephanie Doms! Warum ihr euch unbedingt auf diese Achtsamkeitsübung einlassen solltet und was Achtsamkeit mit Yoga zu tun hat, erfahrt ihr in diesem großartigen Gastbeitrag.
Danke liebe Stephanie!
Und euch anderen eine hoffentlich entspannte Weihnachtszeit, egal wie ihr sie verbringt. Stress raus. Rosinenkekse rein.
WIE KLINGT EINE ROSINE?
Und: Machen Weihnachtskekse achtsamer?
„Und jetzt haltet die Rosine ans Ohr. Welche Geräusche macht sie?“ Angestrengte Stille. Dann glucksend aus der letzten Reihe: „Also, ich hör nix. Aber wenn du deine Rosine hörst, dann hätt‘ ich gern dasselbe, was du so nimmst.“ (Gemeint waren sicher Vitamine…)
Als Yoga- und Mentaltrainerin führt man erstaunlich oft Gespräche, die für Außenstehende vermutlich – äh – seltsam klingen. Diese Unterhaltung beispielsweise trug sich so in einem meiner Firmenyogakurse zu: Wir saßen da alle im leergeräumten Meetingraum auf unserer Matte, jede und jeder mit einer Rosine in der Hand, und stellten uns vor, wir hätten diese kleinen, braunen, schrumpeligen Dinger zum allerersten Mal vor uns. Wie Kinder übten wir uns in Neugier, mit allen Sinnen: Wie sieht dieses Ding aus? Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Macht es Geräusche? Wie schmeckt es?
Der Mann hinter der Rosine
Kennst du die Rosinenübung? Sie stammt von Jon Kabat-Zinn, dem Begründer der Achtsamkeitsbasierten Stressbewältigung (Mindfulness Based Stress Reduction, kurz MBSR). Ich wurde durch die Buch-Empfehlung eines befreundeten Psychotherapeuten darauf aufmerksam. „Als Yogalehrerin gefällt dir das sicher“, sagte er damals. Und er hatte recht: Ich fand mich in dem Thema wieder – im Stress und im Wunsch, Stress zu reduzieren. Denn damals, als frischgebackene selbstständige Unternehmerin mit zwei verschiedenen Jobs (ich bin auch noch Werbetexterin), einem Baby im Bauch und einem alten Haus mitten im Umbau, schwebte ich definitiv nicht immer lockerflockig und tiefenentspannt über den Dingen.
Achtsamkeit und Yoga
Als ich das Buch las, wusste ich gar nicht, welche Passagen ich zuerst mit dem Textmarker anstreichen sollte. Dieses fundierte Konzept der Achtsamkeitsschulung steckte voller Impulse, die ich auf Anhieb für mich ebenso wie für meine Schüler*innen nutzen konnte.
Heute ist Achtsamkeit für mich untrennbar mit Yoga verbunden. Mit Achtsamkeit ist Yoga mehr als nur Gymnastik. Und mit Yoga habe ich etwas, womit ich meine Achtsamkeit hervorragend überprüfen und effizient schulen kann – jeden Tag wieder aufs Neue. Aber du kannst einen achtsamen Lebensstil natürlich auch mit vielem anderen kultivieren.
Okay, denkst du dir jetzt. Achtsamkeit – steht eh mittlerweile schon überall drauf, vom Frauenzeitschriftencover bis zum veganen Schokoriegel. Aber was ist das genau? Und was kann es?
Fragen: Erster Schritt zur Antwort
Achtsamkeit ist maximal offenes, neugieriges Dasein im Moment. Mit allem, was dieser Moment an Schönem und weniger Schönem beinhaltet. Um ganz in den Moment zu kommen, nutzen wir unsere Sinne. Das ist auch bei zahlreichen Übungen des mentalen Trainings so. VAKOG ist dabei ein gängiges Akronym: visuelle, auditive, kinästhetische, olfaktorische und gustatorische Aspekte werden bewusst abgefragt und einbezogen, um möglichst tief in das Erleben einzusteigen. Das fördert einerseits die Konzentration und macht uns gleichzeitig feinfühliger. Es hilft uns zu beantworten: „Moment mal! Was ist hier eigentlich gerade los? Was passiert und was macht das mit mir?“ Und das kann uns helfen, aus der Stressspirale auszusteigen und alte Reaktionsmuster zu entlarven.
Wer seine Achtsamkeit schulen möchte, setzt sich also hin, stellt dem Augenblick Fragen und lauscht auf Antworten. Eine spannende Sache. Und wer sich ganz auf die Sinne einlässt, kann eigentlich gar nicht mehr anders als voll und ganz im Hier und Jetzt zu sein. So funktioniert achtsames Atmen beispielsweise als Anker, der uns stabil hält, wenn die Wogen hochgehen.
Alles erlaubt
Eine zweite bekannte MBSR-Übung ist der Bodyscan. Dieser beschreibt sehr gut, WIE die Wahrnehmung erfolgen soll: nämlich ohne zu bewerten. Beim Bodyscan wandern wir systematisch durch den ganzen Körper, in der Regel vom Kopf (diesem dominanten Control Freak) hin zu den Füßen (auf die wir im Alltag meist völlig vergessen). Jedem noch so kleinen Körperteil wird volle Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sollen wir nur neugierig hinspüren und beobachten – nicht bewerten oder analysieren (was häufig passiert, wenn wir z.B. Schmerzen haben und darüber nachzudenken beginnen, woher diese kommen).
Als Yogalehrerin erinnere ich meine Schüler*innen regelmäßig daran: Du bist nicht deine Gedanken, nicht deine Gefühle. Das alles sind nur Regungen an der Wasseroberfläche. Ganz tief drinnen in dir bist du klar und ruhig. Achtsamkeit führt uns zu diesem ruhigen Meeresgrund unseres Wesens, wo Entspannung, Gelassenheit, Wohlwollen und Fokus mühelos gelingen.
Wie weit ich in meiner persönlichen Achtsamkeitspraxis gekommen bin, merke ich in alltäglichen Ausnahmesituationen (Kleinkind verweigert das Zähneputzen, Kund*innen verlegen Deadlines nach vor, die Technik beim Online-Yoga bricht zusammen, …): Ich halte inne. Ich sehe klar und deutlich, was passiert und was die Situation von mir verlangt. Ich spüre auch, dass ich darauf auf eine bestimmte Weise reagieren möchte, mit Ungeduld beispielsweise. Aber – und das ist das Entscheidende: Ich lasse mich nicht (oder zumindest nicht so leicht) mitreißen von diesen ersten Empfindungen und kann so meine nächsten Schritte klar, stark und frei setzen sowie liebevoll mit mir und anderen sein.
Mein weihnachtlicher Übungstipp für dich
Etwas sehr Schönes, das mich die Achtsamkeitsschulung noch gelehrt hat: Den „grauen Alltag“ gibt es nicht. Maximal haben wir die graue Brille der Unachtsamkeit auf der Nase sitzen. Und wenn wir diese abnehmen, erkennen wir, was alles möglich ist: Facettenreichtum und pure Magie mitten im täglichen Leben. Wer sich Zeit nimmt, innehält, genau hinschaut und Fragen stellt, wird reich belohnt mit unzähligen Entdeckungen!
Klingt gut, aber vor Rosinen graut dir? Mach die Übung mit deinem Kaffee am Morgen, einem Schluck Wasser, oder in diesen Tagen vielleicht mit einem Weihnachtskeks. Widme dich diesem Keks wie dem allerersten Keks deiner frühen Kindheit, lass die Süßigkeit in deiner Hand zum Erlebnis, zum Abenteuer für alle Sinne werden. Ich wette mit dir: So besonders wird ein einziger Keks schon lange nicht mehr geschmeckt haben. Und auch nachdem der Geschmack schon lange aus deinem Mund verschwunden sein wird, wirst du merken, dass eines bleibt: Achtsamkeit, die sich ein Stück weit ausgedehnt hat.
Je öfter du dich daran erinnerst achtsam zu sein, umso natürlicher wirst du es irgendwann machen – ganz ohne den Leistungsdruck einer Übung, einfach so, weil es eine wunderschöne Art ist, dem Leben zu begegnen. Also: Ran an die Kekse!
Über Stephanie Doms:
Stephanie Doms ist freie Wortspielerin, Yogalehrerin und Mentaltrainerin in Ried im Innkreis. 2020 erschienen von ihr das Buch „Das Mama-Gleichgewicht. Stark und gelassen mit Yoga, der Philosophie des Tantra und Mentaltraining“ sowie die Inspirationskarten „The Art of Alltag. Moderne Meditationen für ein achtsames Leben“. Mehr über Stephanie erfährst du unter www.stephaniedoms.com sowie unter www.sunshine-yoga.at
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