EINLEITENDE WORTE
Vor Kurzem habe ich ich eine nette Anfrage von einer – mir zu dieser Zeit noch unbekannten – Psychologin bekommen, die sich freundlicherweise meines verzweifelten Facebook-Aufrufes erbarmt hat, hier einen Gastkommentar zu schreiben. (Mittlerweile kenne ich sie und freue mich sehr darüber! Denn sie ist nicht nur eine tolle Gesprächspartnerin sondern auch sehr reflektiert und ich würde bei Bedarf sofort in ihre Praxis rennen!)
Ich freue mich daher sehr, diesen schönen Text über AKZEPTANZ, ACHTSAMKEIT und SELBSTMITGEFÜHL am feeling-better-Blog online stellen zu können!
Denn: sind wir doch mal ehrlich! Wir leben in einer stressigen Zeit. Unsere Kinder, Partner*innen, Freund*innen, Kolleg*innen, die Frau im Supermarkt hinter uns (und die vor uns erst!)… Egal! SIE ALLE NERVEN und stressen uns manchmal ganz furchtbar ;-)
Und wir können es nicht ändern weil wir NUR uns selbst ändern können. Und unsere Sichtweise auf die Dinge. Also:
-> versuchen wir doch öfter mal zu AKZEPTIEREN, was wir nicht verändern können,
-> gehen wir doch ein bisschen ACHTSAMER mit uns selbst um und
-> haben wir doch ab und zu ein bisschen SELBSTMITGEFÜHL mit uns
Und durch diesen Artikel angespornt verzeihe ich mir hiermit auch ganz viel ;-) und
danke dir dafür, Martina!
Weiterhin viel Erfolg in deiner Praxis!
Die Kontaktdaten von Martina findet ihr wie immer unten in den LINKS.
Akzeptiere!
…was du sowieso nicht ändern kannst
Neulich besuchte ich mit meinem Sohn eine Freundin, die gerade ein Baby bekommen hatte. Mein Sohn ist erst 16 Monate alt und manchmal sind Autofahrten super, manchmal eine Katastrophe. Vor allem Stillstand, also wenn wir nicht fahren und sich wenig tut, wenn er aus dem Fenster sieht, mag er gar nicht. Nun musste ich für den Besuch durch ganz Wien fahren und dazu über die Südosttangente. Jeder, der in Wien wohnt, weiß, die Tangente am Morgen ist der Horror. Baustellen, Unfälle, jede Menge Stau. Das Treffen war um 10:00 ausgemacht, um 9:30 fuhren wir los. Das Navi warnte mich, dass wir wohl 10min länger brauchen würden. Meine Freundin schrieb mir ebenfalls: „Es gibt Stau, aber du solltest durchkommen.“ Innerlich merkte ich, wie ich nervös wurde. Soll ich fahren? Den Termin abblasen? Wird mein Kleiner einschlafen, dann schläft er zu Mittag nicht mehr? Oder gibt es ein Schreikonzert?
Der Stresspegel steigt
Ich entschied mich jedenfalls loszufahren und es zu versuchen. Tatsächlich merkte ich schon bei der Auffahrt, es gibt Stau. Aber vielleicht nur bis nach der Baustelle, war meine Hoffnung. Und wirklich, nach einer Weile löste es sich auf und es ging wieder flott weiter. Noch war mein Sohnemann gut aufgelegt und schaute den vorüberziehenden Lastwagen zu. Hie und da zeigte er aufgeregt auf etwas und nuckelte aus seiner Wasserflasche. Das Radio war an. Unfall auf der Tangente. Stau. Über 30 min Zeitverlust wurde angegeben. Und ich mittendrin. Bitte, bitte, nicht jetzt. Ich hatte es fast geschafft.
Innerlich wurde ich wieder unruhig und nervös. Das Treffen um 10:00 war nun nicht mehr einzuhalten. Ich schrieb meiner Freundin: „Sorry, ich komme später! Ich stecke im Stau.“
Die Minuten vergingen. Immer wieder blickte ich in den Rückspiegel, wie mein Sohn aufgelegt war. Und dann ging es irgendwann los. Zuerst eine leichte Quengelei, dann lauter und lauter. Ich versuchte ihn zu beruhigen, sagte ihm, dass wir bald da seien. Doch tatsächlich bewegte sich gar nichts. Singen, Reime, gut zureden. Alles nutzte nichts. Er wollte endlich raus aus dem Kindersitz. Mein Stresspegel stieg. Vor allem, da ich ihm nicht helfen konnte. Auf der Tangente aussteigen und ihn in den Arm nehmen – keine gute Idee.
Also sprach ich weiter mit ihm, sagte ihm, wie leid es mir tat. Dass wir hätten zu Hause bleiben sollen und ich ihn so gerne aus seiner misslichen Lage befreien würde. Mir selbst machte ich Vorwürfe. Warum hatte ich nicht abgesagt? Hätte ich das Treffen später angesetzt, wäre nicht so viel Verkehr gewesen. Lernte ich denn niemals dazu? Mein Magen krampfte, wann geht es endlich weiter? Wie lange noch? Ich bin viel zu spät und es freute uns beide nicht mehr.
Einfach mal akzeptieren
Und irgendwann, als ich da so feststeckte und versuchte, meinen Sohn zu beruhigen, da stellte sich in mir etwas ein – eine Art Akzeptanz. Ein Annehmen der Situation, so wie sie ist. Mir wurde bewusst, ich kann jetzt gerade nichts tun, um diese Situation zu verändern. Wir konnten nur vorwärts, einen Abbruch oder umkehren, das gab es nicht.
Also begann ich ganz bewusst ein- und auszuatmen. In den Bauch, um etwas Ruhe in mein Innenleben zu bringen.
Jeder, der schon mal ein schreiendes Kind auf der Rückbank hatte, weiß, wie schwer es ist, seinen Fokus zu halten.
Ich hörte auf, mich bei meinem Sohn zu entschuldigen, sondern erklärte ihm mit fester Stimme, dass wir da nun gemeinsam durchmüssen. Ich griff auch seine Emotionen auf und benannte sie. Ich sagte zu ihm, dass ich seine Wut verstehen könne und auch seine Verzweiflung darüber, sich nicht befreien zu können. Dass auch ich verärgert war, über diese Situation, in der wir uns befanden. Ich fing an, ihm meine Gefühle und die, die ich bei ihm wahrnahm, zu beschreiben. Kurz: ich hörte auf, gegen die Situation anzukämpfen und akzeptierte die Realität.
Anstatt meinen Stresspegel durch Selbstvorwürfe und Hadern mit den Tatsachen zu erhöhen, versuchte ich mich in einer achtsameren Haltung.
ACHTSAMKEIT
Grundsätzlich ist eine achtsame Haltung durch verschiedene Qualitäten geprägt: Anfängergeist (Offenheit und Unvoreingenommenheit), Nicht-Urteilen, Akzeptanz, Nicht-streben (Nicht-erzwingen), Loslassen, Geduld und Vertrauen.
Es geht also darum mit der eigenen Aufmerksamkeit ganz bewusst im Hier und Jetzt zu bleiben, ohne zu bewerten und zu urteilen. Und warum das Ganze?
- Um zur Ruhe zu kommen,
- sich selbst und die eigenen Reaktionsweisen kennen zu lernen,
- zu erkennen, welche Muster und Glaubenssätze unsere Gefühle und unser Handeln bestimmen,
- Mitgefühl für sich selbst und andere zu entwickeln,
- überlegtere und weniger affektiv gefärbte Entscheidungen zu treffen,
- zu erkennen, dass das eigene Verhalten veränderbar ist und
- innere Distanz zu Geschehnissen zu schaffen.
Üblicherweise sind wir allerdings gewohnt, ganz andere Qualitäten zu leben. Unser Denken ist häufig geprägt von Widerstand, Zweifel, Ungeduld, Bewertung und Orientierung an vergangenen oder zukünftigen Ereignissen. Eine achtsame Haltung im Alltag will also geübt sein, z.B. durch Meditation oder anderen Achtsamkeitsübungen.
Zwei Qualitäten der Achtsamkeit
In diesem Moment im Auto übte ich zwei Qualitäten der ACHTSAMKEIT, obwohl mir das erst im Nachhinein so richtig bewusst wurde:
- Nicht-Urteilen
oder Nicht-bewerten meint, Situationen oder Erfahrungen nicht zu klassifizieren und einzuteilen in angenehm/unangenehm, gut/schlecht oder ähnliches. Man versucht, Vorgänge als unparteilicher Beobachter zu beschreiben und wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Diese Qualität bringt mehr Objektivität und ermöglicht situationsangemesseneres Verhalten, quasi aus der Metaperspektive heraus.
- Akzeptanz
bedeutet, die Realität so anzunehmen, wie sie gerade ist. Widerstand gegen einen gerade nicht veränderbaren Sachverhalt kostet Kraft und verstärkt meist noch die Problematik. In meinem Fall stieg der Stresspegel und je unruhiger ich wurde, desto unentspannter wurde auch mein Sohn. Die Realität zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht, dass man alles einfach hinnehmen soll, jedoch schafft es diese Qualität, eine innere Distanz herzustellen und von dieser Warte aus, ruhige und überlegte Entscheidungen zu treffen.
SELBSTMITGEFÜHL
Um den inneren Kampf gegen mich selbst zu beruhigen entschied ich mich außerdem, etwas Mitgefühl mit mir zu haben (ganz nach Kristin Neffs psychologischem Ansatz des Selbstmitgefühls).
Selbstmitgefühl meint dabei nichts anderes, als mit sich selbst mitfühlend zu sein.
Wie würde ich einer Freundin begegnen, die sich gerade in meiner oben beschriebenen Lage befindet? Würde ich ihr Vorwürfe machen, was sie alles nicht bedacht oder falsch entschieden hat? Oder würde ich ihr Mitgefühl entgegenbringen und sagen: „Alles halb so wild, du konntest die Lage vorher nicht abschätzen und hast die bestmögliche Entscheidung mit dem dir verfügbaren Wissen getroffen.“ Wahrscheinlich eher zweiteres.
Akzeptanz, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl
Das alles ging nun also in mir vor. Ich erkannte, dass ich die Situation nicht verändern kann und entschied mich dazu, sie zu akzeptieren. Gleichzeitig rückte ich die Konsequenzen in ein realistischeres Licht, in dem ich versuchte, eine Beobachterperspektive einzunehmen. Nein, meine Freundin würde mir das nicht übelnehmen und nein, mein Sohn wird auch keinen dauerhaften Schaden davon tragen, wenn er ½ Stunde im Auto weint.
Mir selbst begegnete ich mit Mitgefühl und Verständnis und schaltete so meinen inneren Kritiker, der nur im Sinn hatte, meinen Stress zu verschärfen, auf stumm. Durch das Beschreiben und Benennen der Gefühle meines Sohnes nahm ich ihn außerdem mit diesen Gefühlen an. Ich gab ihm damit zu verstehen, dass es in Ordnung war, so zu fühlen und ich von ihm nicht verlangte, sich anzupassen und ruhig zu sein. Er durfte seinem Ärger Luft machen und mir zeigen, was in ihm vorging.
Nach einer Weile kehrte dann tatsächlich auch in ihm wieder Ruhe ein. Er schien ebenfalls akzeptiert zu haben, dass er seine Situation nicht verändern konnte und suchte sich wieder interessante Dinge in seiner Umgebung. Er zeigte mir große Autos und Lastwagen und brabbelte fröhlich. Der Stress war von uns beiden abgefallen, der Stau löste sich auf und im nu waren wir bei meiner Freundin. Während ich nach einer solchen Fahrt üblicherweise völlig aufgelöst und verärgert ankommen würde, war ich diesmal voller Freude. Freude, das kleine neugeborene Wesen kennen zu lernen und Freude über die bevorstehende gemeinsame Zeit.
KONTAKT und weiterführende LINKS
- Martina arbeitet als Klinische- und Gesundheitspsychologin in eigener Praxis:
Empfehlenswerte LINKS:
zum Thema Achtsamkeit:
- https://dfme-achtsamkeit.de/
haltungen-der-achtsamkeit/ - https://www.mbsr-kurs-koeln.
de/achtsamkeit/ - BUCHTIPP: „Stressfrei durch Meditation“ von Maren Schneider, O.W. Barth Verlag, 2012
zum Thema Selbstmitgefühl:
- https://self-compassion.org/ (engl.)
- BUCHTIPP: „Selbstmitgefühl – wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden“, 2012, Kailash Verlag
Bildquelle: Bild von Myriam Zilles auf Pixabay
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