EINLEITENDE WORTE
Elisabeth habe ich vor ewig langer Zeit kennengelernt als wir beide noch Psychologie studierten, sie in Wien und ich in Graz.
Wir waren beide ehrenamtlich bei einem trinationalen, studentischen Sexualpädagogik-Projekt namens „Achtung Liebe“ tätig und nahmen gemeinsam an der Ausbildung dafür teil. Der damalige Leiter dieses Projekts mit „Headquarter“ in Wien wurde Jahre später mein Partner und Vater meiner beiden Kinder (in dieser Reihenfolge ;-).
Nach meinem Umzug nach Wien habe ich Elisabeth durch den gemeinsamen Freundeskreis immer mehr und mehr als unglaublich lebenslustige und aufrichtige Freundin ins Herz geschlossen.
Elisabeth ist eine sehr liebevolle Freundin und Mutter, eine echte Kameradin für’s Leben (die auch schon mal nach Sri Lanka zieht), mutig, offen und außerdem noch eine tolle Yoga-Lehrerin. Noch nie habe ich in einer Yoga-Stunde so gelacht!
Das, was sie euch jetzt über ihre „kleine persönliche Krise“ (wie sie es nennt) und die große, existentielle Krise ihrer Freundin erzählt, ist ehrlich, klug und eine wirkliche Bereicherung für diesen Blog.
Danke Elisabeth :-*
Liebe Andrea,
danke für deinen lebensbejahenden Blog, der alle Gefühle willkommen heißt.
Ich möchte gerne folgende kleine Überlegung beisteuern.
Krisengebeutelt ist es nicht immer so einfach, in über die Maßen gefühlsbetonte Schwafelei zu verfallen.
Aber naja, auch das ist wohl ok…
Meine eigene kleine Krise in der Corona-Krise
Ein Vorwort
Meine eigene kleine Krise entstand dadurch, dass ich in den ersten Wochen der Covid-19 Maßnahmen begann, mich allein zu fühlen, trotz meines täglichen „Kleinkind-Unterhaltungsprogramms“.
Mir fehlte mein Lebensmensch, der in dieser Zeit mit einer noch besseren Auftragslage bestückt, voll in der Arbeit aufging und nur selten zuhause war…
Darauf setzte sich leider auch noch eine kleine Verliebtheit meines Lebensmenschen in seine Arbeitspartnerin, die er mir verschwieg, obwohl ich ihn mehrmals mit meinen Ahnungen konfrontierte.
Eine gefühlsmäßige Eskalation war die Folge und daran arbeite ich mich momentan ab.
Nachdem ich jetzt nicht einfach ein paar Tage mit Kind und Kegel wegfahren kann, um einen klaren Kopf zu bekommen, ist Kreativität gefragt.
Mensch zu sein beinhaltet diese Dinge, auch wenn man sie nicht gern ausspricht.
Und schon gar nicht vor einem größeren Publikum.
Andererseits hilft es, Mensch zu sein und es auch zu zeigen. (Danke Andrea, dass du mich motivierst, kein Psychologenroboter sein zu wollen.)
Etwas wohin meine Energie gerade fließen will, ist außerdem meine eigene berufliche Veränderung. Ich habe meine fixe Anstellung verlassen, um in Zukunft eine eigene Praxis als Psychologin zu führen.
Dies ermöglicht mir flexible Arbeitszeiten trotz Kleinkindbetreuung.
Ich merke, wie ich wachse, wenn ich den Mut ausspreche, den mir dieser Schritt abverlangt.
Krisen in der Krise
oder: Krisenzeiten als Chance
Viel größer als meine kleine Krise erscheint mir gerade die Krise einer Freundin, die für mich Lebenslust, Sinnlichkeit gepaart mit einer tiefen Verbundenheit zu etwas Höherem personifiziert, eine schöne Frau also, die mit ihrer gelebten Spiritualität sehr inspirierend ist.
Sie wurde mit einer existentiell bedrohlichen Krankheitsdiagnose konfrontiert, mitten in der Coronakrise, wo das Trostspenden auf der körperlichen Ebene wegfällt.
Schnell springe ich auf mein Steckenpferdchen, aber wohin reite ich in meinem psychologischen Spielzimmer?
Indem ich mich hinwende zum Du vergesse ich mich vielleicht ein bisschen selbst und richte mich zugleich auf etwas Höheres und Größeres aus .
Auf etwas „Transzendentes“, auf etwas, das außerhalb meines kleinen Ich-Universums wirksam wird. Wirklich?
Ich will es versuchen, denn überzeugt bin ich höchstens mit dem Blick der Agnostikerin, kritisch überzeugt, wenn man das so sagen kann.
Also probiere ich es als Imaginationsübung denn die gute Vorstellung ist über jeden Zweifel erhaben, weil unmittelbares Erfahren eintritt:
Bsp.: ich stelle mir den Biss in eine saure Zitrone vor
Wenn ich es jetzt gleich ernsthaft versuche, fällt scheinbares Leid von mir ab, macht Raum für Sinn und für eine Freiheit, die an keinem Ort der Welt als im tiefsten Innern den Anker anlegt, nicht nur in meinem, sondern auch in Deinem, Ihrem, Eurem, im großen Innern, wo wir alle gleich klein sind, wo wir alle verbunden sind, weil wir im Leid plötzlich menschlicher werden. (Klingt schon wieder abgehoben – was heißt das in der täglichen Praxis?)
„Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Martin Buber)
Krisenzeiten als Chance
Vielleicht bietet die Krise mir/uns die Chance, gegen die Angst vor echter Begegnung anzukämpfen.
Die lebensbedrohliche Diagnose, die einmal mehr mit der nackten Hilflosigkeit und Ohnmacht konfrontiert, die das Leben ebenso beinhaltet wie die ersehnten Momente voller Erfüllung all der Träume, zu deren Verwirklichung viel Zeit und Kraft aufgewendet wird.
Diese Zeit und Kraft kann auch in ein „Ruhe geben“ fließen, in ein „Frieden schließen“ mit dem, was ist.
Immer will ich machen, machen, machen – als Psychologin, als Freundin, als Patientin. Sehr oft aber geht es ums Aushalten.
Dieses Aushalten der Stille, die uns plötzlich viel näher bringt. Erschreckend nah.
Da-sein für Andere
Das führt uns in gesunder Weise weg uns von uns selbst hin zu etwas Höherem, wo sich einstellt, was Mihaly Csikszentmihalyi „Flow“ nennt.
In diesen Zustand selbstvergessenen Seins ist auch die Haltung selbstlosen Daseins für jemand Anderen einzuordnen.
Indem ich zum Beispiel nicht aufhöre, nachzufragen wie es geht (aus Scham oder aus Angst),
indem ich nicht müde werde, kleine Aufmerksamkeiten zu schicken,
indem ich nicht versäume in echtem Kontakt zu bleiben, auch wenn er manchmal schmerzhaft ist, voller Ohnmacht im Angesicht der existentiellen Bedrohung.
Danach könnte das zuvor Angesprochene verwirklicht werden: weg vom Tun hin zum Aushalten im Sein.
Das bedeutet in der Praxis, die Maske abzunehmen und dabei nicht wegzuschauen, wenn es unangenehm wird.
(Umso schwieriger wird diese Übung in einer Zeit, in der Masken en vogue sind ;-)
Echtes Dasein, mit allem was an physischer und psychischer Präsenz aufzubringen ist, ist ein Knochenjob, der aber alle Beteiligten belohnt.
Wenn die Haltung selbstvergessenen Seins auf die kleinen Dinge des Lebens genauso zutrifft, dann ist der Moment, in dem mein kleiner Bub im Kurpark zwischen den Rotbuchen die Löwenzahnwiese runterkugelt nochmal intensiver.
KONTAKT und weiterführende LINKS
- Homepage von Elisabeth Strasser
- Psychnet-Eintrag von Elisabeth Strasser beim Berufsverband österr. Psycholog*innen (BÖP
- ID Institut für Innovative Gesundheitskonzepte zur Förderung innovativer und ressourcenorientierter Konzepte in den Bereichen Psychotherapie, Psychoonkologie und individueller Potentialentfaltung
- TRUST-Interventionen (Techniken Ressourcenfokussierter Und Symbolhafter Traumabearbeitung)
- TRUST-Interventionsbeispiele (Blick ins Buch: Ressourcenorientierte Psychoonkologie. Psyche und Körper ermutigen. (2010). von Christa Diegelmann und Margarete Isermann (Hrsg.)
- Zum vorigen Artikel springen: Resilienzfaktoren in der Corona-Krise
Bildquelle: Photo by Anastasia Vityukova on Unsplashh
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