Habt ihr euch das schon mal gefragt: „Wie machen andere Menschen das bloß, dass sie jetzt während der Corona-Krise so viel „stemmen“ können? Oder ihr Leben ÜBERHAUPT irgendwie auf die Reihe bekommen?“
Sogar Eltern mit (mehreren) Kindern sollen angeblich unter diesen „Macher*innen“ zu finden sein. Auch Personen, die selbst zu der “Risikogruppe” gehören und eigentlich Angst um ihr Leben haben müssten. Auch Menschen, die in sogenannten “schwierigen Verhältnissen” leben, familiäre Probleme haben oder/und mit finanziellen Existenzängsten umgehen müssen. Wie machen das diese Leute bloß? Und was können wir in Punkto RESILIENZ von ihnen lernen? Welche Resilienzfaktoren besitzen sie?
Gehört ihr auch zu diesen Leuten? Falls ja: “Unglaublich toll, wie ihr das alles schafft! Macht weiter so!” Falls nein: “Keine Sorge, auch ich kriege mein (beschauliches aber momentan irgendwie anstrengendes) Leben gerade nicht immer so auf die Reihe wie ich es gerne hätte. Aber für Leute wie mich gibt es Hoffnung: ich habe in der Zeitschrift „Psychologie Heute“ einen interessanten Beitrag über das Thema gefunden. Der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch hat in einer Langzeit-Studie über Resilienz nämlich folgendes herausgefunden:
Resilienz ist kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität.
Die beiden wichtigsten RESILIENZFAKTOREN
Resiliente Menschen besitzen vor Allem zwei wichtige RESILIENZFAKTOREN:
- Sie machen sich keine Illusionen über die Zukunft, aber bei Ungewissheit neigen sie dazu, eher einen positiven Verlauf der Dinge anzunehmen -> haben also Hoffnung und OPTIMISMUS
- und sie glauben eher daran, dass sie selbst etwas bewirken können -> das nennt sich SELBSTWIRKSAMKEITSERWARTUNG.
Die beiden Resilienzfaktoren Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung können uns also in Krisenzeiten helfen: „Ich bin optimistisch, dass wir die Corona-Krise meistern werden und glaube daran, selbst etwas dazu beitragen zu können!“
Daher ist Resilienz kein Schicksal, sondern fußt auf einem BEWERTUNGSSTIL, den man umlernen kann (und dabei schädliche Assoziationen verlernen: „Ich kann ja eh nichts tun!“) – aber nicht mal eben schnell. Laut Kalisch läuft das eher so wie bei einer Psychotherapie: Resilienz ist ein langfristiger PROZESS, auf den man sich einlassen und den man wollen muss. Deshalb hilft leider positives Denken oft nur kurzfristig und der anfängliche Optimismus verpufft, wenn man nicht wirklich davon überzeugt ist (z.B. weil man in der Vergangenheit nicht erlebt hat), an einer Situation etwas ändern zu können.
Resilienz ist die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung psychischer Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen.
Resilienz ist ein aktiver und dynamischer Prozess und kein starres Persönlichkeitsmerkmal.
Vorbedingungen für Resilienz
Kalisch, einer der Mitbegründer des LIR meint, dass vermeintlich stabile Persönlichkeits- oder Charaktereigenschaften nicht so stabil sind, wie wir glauben. Unser Gehirn – wie auch unser Wesen – ist plastisch.
Trotzdem ist es ein wichtiger Aspekt des Resilienz-Prozesses, wenn bestimmte Einstellungen oder Fähigkeiten wie eben Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung zunächst einmal vorhanden sind damit sie im Bedarfsfall – wie jetzt während der Pandemie – als Resilienzfaktoren eingesetzt werden können.
Dabei spielt aber auch das UMFELD eine wichtige Rolle, also inwieweit es einen dazu ermutigt, diese Einstellungen und Fähigkeiten auch einzusetzen!
Ich persönlich will an dieser Stelle (und besonders jetzt während der Corona-Krise) aber auch den Wert sogenannter negativer Gefühle wie Wut und Angst für diese beiden Resilienzfaktoren herausstreichen:
Resilienzfaktoren und negative Gefühle: WUT
Zwei sehr heftige Gefühle, die jetzt während der Corona-Krise vermehrt zu beobachten sind (auch an mir selbst ;-) sind Wut und Angst.
WUT entsteht laut Biswas-Diener & Kashdan (2015) oft daraus, dass wir uns in einer Situation ungerecht behandelt fühlen und kann uns dazu motivieren, diese Situation zu verbessern z.B. dass die Bundesgärten (Schönbrunn, Augarten, Burggarten etc.) in Wien gesperrt wurden und die Leute jetzt (in Woche 4 der Ausgangsbeschränkungen) damit beginnen, dagegen zu protestieren.
Bewegung an der frischen Luft tut uns (quer durch alle Bevölkerungsgruppen) gerade in diesen Zeiten gut (körperlich wie psychisch) und im innerstädtischen Bereich ist das oft nur an diesen Plätzen möglich. Seit diesem Wochenende (Ostern) sperren immerhin 4 „Begegnungszonen“ in Wien auf… und hoffentlich bald auch wieder die Bundesgärten wie hier der Schönbrunner Schlosspark, der offensichtlich – und unter stillem Protest – noch versperrt ist.
Auf jeden Fall kann uns Wut dabei helfen, uns mit anderen zu verbünden, die sich in gleicher Weise „ungerecht“ behandelt fühlen. Und Wut hilft uns in diesem Fall hoffnungsvoll und optimistisch in die Zukunft zu schauen weil wir daran glauben, gemeinsam etwas verändern zu können.
Resilienzfaktoren und negative Gefühle: ANGST
ANGST hingegen kann uns laut Biswas-Diener & Kashdan dazu motivieren, auf Gefahrenquellen zu achten. In potentiell gefährlichen Situationen in denen die Hinweisreize auf eine Gefahr kompliziert, unsicher, nicht-fassbar und uneindeutig sind, setzt sich Angst gegenüber Optimismus durch. In diesen Fällen können nämlich ängstliche Personen schneller zu Lösungen kommen und diese auch mit ihrem Umfeld (Freund*innen, Familie, Kolleg*innen) teilen. Gruppen sind erfolgreicher wenn sie wenn sie einen guten Mix aus verschiedenen „Persönlichkeits-Typen“ enthalten und damit auch ein ängstliches Gruppenmitglied im Team haben.
Umgelegt auf die aktuelle Corona-Krise sieht man das auch am „Erfolg“ der Regierungsmaßnahmen (gemessen an der Neuansteckungs-Rate, das psychosoziale Hilfspaket lässt meiner Meinung nach noch zu wünschen übrig). Egal wie man zur Arbeit der österreichischen Regierung stehen mag, merken doch viele Expert*innen an, dass das relativ rasche Reagieren der Regierung inkl. Ausgangsbeschränkungen wohl dazu geführt hat, dass die Rate an Neu-Ansteckungen relativ schnell unter die angestrebte 10% Marke gesunken ist (#flattenthecurve). Ich nehme an, dass im Regierungsteam, den Expert*innen- und den Arbeitsgruppen das eine oder andere Teammitglied sitzt, das einen ausgeprägten Sinn für Gefahr hat. Ansonsten wären die Maßnahmen zum Umgang mit dem Corona-Virus und Schutz des österreichischen Gesundheitssystems wohl nicht so schnell durchgesetzt worden.
Und auch hier hilft uns die vermeintlich „negative“ Emotion Angst dabei, voller Hoffnung und Optimismus an unsere Selbstwirksamkeit zu glauben: #stayathomechallenge!
Resilienzfaktoren / RISIKOFAKTOREN
Der kanadische Psychologe Prof. Dr. Steven Taylor, der kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie das Buch: „The Psychology of Pandemics. Preparing for the Next Global Outbreak of Infectious Desease.“ (Dez 2019) veröffentlicht hat, nennt RESILIENZFÄHIGKEIT als die wichtigste Grundlage, die psychischen Herausforderungen der Corona-Krise ohne Langzeitfolgen psychisch unbeschadet zu überstehen. Auf psychwire.com (Link unten), beschreibt er einige Risikofaktoren, die das allerdings erschweren können:
Good News first: Die meisten Leute werden ein erhöhtes Stress-Erleben während dieser Zeit erleben, sich aber relativ schnell wieder vollständig (!) davon erholen. Eventuell ergeben sich für diese Personen Einstellungs- und Verhaltensänderungen (ich könnte mir bspw. vorstellen, dass sich die Bevölkerung öfter und länger die Hände wäscht als früher ;-) besonders wenn der Virus in Wellen wieder auftritt.
Bad News: Eine Minderheit von Personen wird allerdings nach der Pandemie laut Taylor mit langanhaltenden psychischen Probleme zu kämpfen haben wie beispielsweise Depressionen, Angst oder PTBS (posttraumat. Belastungsstörungen).
Risikofaktoren
RISIKOFAKTOREN für die Entstehung psychischer Erkrankungen sind:
- vorhergehende emotionale und psychische Vor-Erkrankungen und Probleme und
- die Exposition (das Ausgesetzt-sein) mehreren Stressoren während der Pandemie: lebensbedrohende Erkrankungen, Tod von nahen Angehörigen, ernsthafte finanzielle Probleme und ökonomische Verluste und hohes Stresserleben während einer Quarantäne (z.B. Gewalt in der Familie kombiniert mit dem Wegfall von („nicht-digitalen“) Sozialkontakten).
Hier sind natürlich die beiden Resilienzfaktoren Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung stark gefordert. Wenn psychosoziale Probleme kumulieren (also sich anhäufen und sich evtl. noch gegenseitig verstärken), dann kann es wirklich schwierig werden. Mit guten Tipps von außen (also auch von mir) ist euch zwar anfangs geholfen, aber im Endeffekt steht jeder Mensch vor individuellen Herausforderungen und muss seinen*ihren eigenen Weg gehen. Was der*dem Einen hilft, muss für die*den Anderen nicht unbedingt passen. Oder zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.
Ich hoffe jetzt natürlich, dass ihr und eure Lieben nicht den oben beschriebenen (heftigen!) Risikofaktoren ausgesetzt seid, aber falls doch, wendet euch bitte unbedingt an folgende Hotlines (kostenlos und anonym) damit ihr GEMEINSAM mit den Berater*innen euren persönlichen Weg aus der Corona-Krise findet.
Telefon- und Mailberatung
Österreichweit:
Ö3-Kummernummer (Rotes Kreuz): 116 123
Telefonseelsorge: 142
Rat auf Draht (Kinder, Jugendl. und Bezugspersonen): 147
Hotline des BÖP (Berufsverband österr. Psycholog*innen): 01/504 8000
Frauen-Helpline: 0800/222 555
Für Wien zusätzlich:
Corona Sorgenhotline Wien vom PSD (psychosoz. Dienste): 01/4000 53000
PSD psychiatr. Soforthilfe: 01/31 330
Frauennotruf: 01/71 719
Traut euch! Bei den meisten Hotlines ist auch Online-Beratung möglich.
Unten in den LINKS habe ich euch außerdem noch 10 Tipps zur Stärkung der psychischen Gesundheit während der Corona-Krise vom LIR (Leibniz Institut für Resilienzforschung) in Mainz,
Tipps vom BÖP (Berufsverband österr. Psycholog*innen)
und Tipps der australischen Psychologin und Grande Dame der Positiven Psychologie Prof. Lea Waters im Guardian (auf engl.) angehängt. Bitte unbedingt reinschauen!
Falls ihr weitere Tipps habt, bitte gerne in die Kommentare schreiben!
Bleibt gesund!
Alles Liebe,
Andrea
Feeling better?
Falls nicht, probiert es doch mit diesen
LINKS:
- 10 Tipps zur Stärkung der psych. Gesundheit während der Corona-Pandemie des LIR (versch. Sprachen)
- Infoblätter häusliche Quarantäne und Isolation vom BÖP (versch. Sprachen)
- Tipps zum positiv bleiben während der Corona-Krise von der austral. Psychologin Prof. Lea Waters im Guardian (engl.)
- ASK about the psychology of pandemics von Steven Taylor (engl.)
- Und weil lachen manchmal hilft: http://thecoronadiary.com/
- Seeehr lustig: Eltern infiltrieren Tik Tok!
Bildquelle: Photo by Alora Griffiths on Unsplash
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